Magische Spiegel und Metamorphosen

Die Dinge so zu sehen, wie sie sind – Alessandro Michele nennt das eine „erdrückende Perspektive“ und sorgte deshalb dafür, dass seine neueste Kollektion genau so gesehen wird, wie sie nicht ist. So glichen die Wände und Säulen in der Mitte des Raumes einem Spiegelkabinett, das Schwindel und Staunen gleichermaßen hervorruft und zugleich die Metamorphose veranschaulicht, „bei der die spielerische Mechanik der Lichtbrechung alle räumlichen Grenzen sprengt und den Weg zur Flucht ebnet.“

Das Brechen der Wahrnehmung ist ein Motiv, das sich durch sämtliche Kollektionen von Alessandro Michele zieht und seine kaleidoskopische Sicht auf die Welt im Allgemeinen ebenso versinnbildlicht wie seinen Blick auf spezielle Konzepte wie Männlichkeit, das er auf der Mailänder Fashion Week mit dem der Weiblichkeit verschmelzen ließ. Gewissermaßen als Aufforderung wurde der Anzug für die künstlerische Entfaltung der Schneiderkunst in vielfältigsten Varianten gewählt und brachte eine enorme Bandbreite zum Vorschein: ob paradigmatisch oder verspielt, kurzer Schnitt oder kontrastierende Ärmelabschlüsse, zu wenige Knöpfe oder zu viele, ohne Revers oder mit einer Illusion davon – das Styling dabei oftmals ein klarer Verweis auf die aufkeimende Ästhetik der Tailored Streetwear von Gucci.

So wird Kleidung zum Abbild unserer selbst, und sie zu tragen „bedeutet, eine transformative Schwelle zu überschreiten, an der wir zu etwas anderem werden; es bedeutet, dass wir unsere Identität und unser Potenzial zur Selbstdarstellung auf eine andere Art und Weise hervorheben und zum Ausdruck bringen können.“ Getreu dem Konzept des „Cadavre Exquis“ – der Inspiration für die Einladung und ein Spiel, das unter surrealistischen Künstlern populär wurde, um Werke durch mehrere Personen zu erschaffen – ließ Alessandro Michele unzählige Codes in die Exquisite Gucci Kollektion einfließen, darunter auch die von adidas. Viele Stücke weisen das Logo oder die drei charakteristischen Streifen auf, darunter klassische Jacketts, aber auch sportlichere Designs wie der Gazelle Sneaker. 

Diese Offenheit für das Verschmelzen von Codes symbolisiert die fließenden Übergänge, die die Kollektionen des Hauses in den letzten sieben Jahren geprägt haben. Aus dem stetig wachsenden Gucci Vokabular mit seiner ästhetischen Universalität ist so eine Sprache entstanden, die von allen verstanden werden kann.